Guten Hunger? Viele Fragen und 3 Vorsätze zum Welternährungstag

Indien abgeerntetes Reisfeld

Happy World Hunger Day!

Happy World Hunger Day!

Na gut. Offiziell heißt der heutige Tag seit 1979 World Food Day, und Grund zur Freude ist er nicht. Nach dem Willen der FAO (der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) soll am 16. Oktober darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch heute jeder achte Mensch auf der Erde unfreiwillig hungrig schlafen geht und dass 2,5 Millionen Kinder jährlich an den Folgen von Mangelernährung sterben.

Das sind Zahlen. Sie sind nicht neu, und die Menschen, die diese Zahlen ausmachen, scheinen noch dazu weit entfernt. Ja, manchmal drängen sie sich in unseren Wahrnehmungshorizont ‒ über Lampedusa zum Beispiel. Aber wie sich Hunger anfühlt, das wissen die meisten von uns zum Glück nicht mehr.

Der nagende Wurm

Die ZEITbeschreibt es in dieser Woche in dem ausführlichen Dossier „Warum muss Joy hungern?“ mit den Worten der Kenianerin Ratio Kuntah:

 Tief unten im Bauch, sagt sie, fängt es an, ein leichtes Stechen erst, dann kriecht es hinauf, füllt den Mund mit Bitterkeit. Am schlimmsten sei das Hämmern im Kopf. Nicht ohnmächtig werden, nur schlafen, denkt sie dann.

Knut Hamsun nimmt sich dafür sogar 170 Seiten Raum (im Roman Hunger*, über den ich hier schon einmal geschrieben habe):

Nun ging ich hier und hungerte, dass meine Gedärme wie Würmer in mir zusammenkrochen. Und es stand nirgends geschrieben, dass ich auch nur ein wenig zu essen bekommen sollte, ehe der Tag zu Ende ging. Und je länger es dauerte, desto mehr wurde ich geistig und körperlich ausgehöhlt; ich ließ mich mit jedem Tag zu weniger und weniger ehrenhaften Handlungen herab.

Mich erschüttert das, wenn ich es lese. Und trotzdem bleibt die Vorstellung von wirklichem, wahrem Hunger für mich genauso schwer fassbar wie die Zahl 842.000.000 (also die der Menschen, die laut Brot für die Welt aktuell an chronischem Hunger leiden).

Aufmerksamkeit ‒ und was dann?

Aber dass ich mich mit diesem Blogartikel schwergetan habe, liegt nicht nur daran. Ich wollte ihn unbedingt schreiben, denn ich hatte das Gefühl, der heutige Welthungertag ginge mich besonders an: Wenn ich Essen zu meinem Thema mache, muss ich dann nicht auch den Hunger zu meinem Thema machen?

Brot

Nur: Was ist damit gewonnen, wenn ich es tue?

Die FAO setzt mit ihren Aktionen zum World Food Day in erster Linie auf Aufmerksamkeit. Hmm. Natürlich darf das Thema „ausreichende Ernährung für alle Menschen“ nicht vergessen werden. Aber vage wissen wir wohl alle, dass es immer noch zu viel Hunger auf der Welt gibt. Und reicht es, sich das mal wieder ins Gedächtnis zu rufen und ein bisschen betroffen zu gucken? Mir nicht. Ich möchte natürlich am liebsten etwas tun ‒ und fühle mich hilflos angesichts der globalen Zusammenhänge, die anderswo zum ganz lokalen Hunger führen.

Wie Hunger entsteht

Der oben erwähnte ZEIT-Artikel geht ihnen nach, Mark Bittman tut es in dem Artikel „How to feed the world“, vieles andere habe ich anderswo aufgeschnappt. Was ich verstanden habe, ist:

  • Die Kalorien, die derzeit landwirtschaftlich produziert werden, könnten eigentlich die gesamte Weltbevölkerung ausreichend ernähren. Aber sie kommen nur zu einem Teil der menschlichen Ernährung zugute: Ein Drittel landet im Müll, 6 % werden für die Herstellung von Biokraftstoffen verwendet, und ein weiteres Drittel fließt in die Tiermast, damit der unter der wohlhabenderen Erdbevölkerung steigende Appetit auf Fleisch befriedigt werden kann.
  • Die Spekulation mit Lebensmitteln lässt die Weltmarktpreise so stark ansteigen, dass sich ärmere Menschen ihre Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können.
  • Klimawandel und unverantwortlicher Umgang mit Wasserressourcen macht immer größere Landstriche unfruchtbar. Die Bewohner dieser Gegenden verlieren ihre Lebensgrundlage.
  • Viele Entwicklungsländer forcieren unter dem Einfluss der Weltbank die Produktion von Export- statt Versorgungsgütern (Rosen statt Mais). Land wird teuer, und die für Kleinbauern notwendige Infrastruktur bleibt auf der Strecke.
  • Die Industrialisierung der Landwirtschaft, die nicht zuletzt im Interesse großer Saatgut-, Düngemittel- und Nahrungsmittelkonzerne vorangetrieben wird, zerstört traditionelle Subsistenzwirtschaftsstrukturen und macht immer mehr Menschen von den Produkten ebenjener Konzerne abhängig. (Weshalb es eine extrem besorgniserregende Entwicklung ist, dass die Politik sich bei Entwicklungshilfe und Kampf gegen den Hunger immer stärker auf die Hilfe der Industrie verlässt.)
  • Patente auf Tiere und Pflanzen sorgen dafür, dass die Industrie immer weitergehende Kontrolle über die Grundlagen der Ernährung bekommt.
Reis dreschen in Indien

Was kann denn ich tun, damit in Indien genügend geerntet werden kann?

Und da fehlen mir bestimmt noch ganz wichtige Puzzleteilchen. Diese Auflistung hat allerdings schon jetzt lähmende Wirkung. Angesichts so gewaltiger Probleme ‒ was kann ich da tun?

Auf die Straße gehen. Versuchen, Einfluss zu nehmen auf genau diese Prozesse. Friedhelm Mühleib ist mir auf seinem Tellerrandblog mit einem Post zum Welternährungstag zuvorgekommen und listet ein paar politische Aktionen auf. Ich muss zugeben: Von keiner habe ich im Vorhinein erfahren. Aber vielleicht habe ich auch nicht aktiv genug gesucht. Ich habe mir für nächstes Jahr vorgenommen, rechtzeitig zu schauen. Falls der Hunger nicht vorher besiegt und der Welternährungstag überflüssig geworden ist. (Ich weiß. Nicht lustig.)

Viele kleine Leute, die viele kleine Schritte tun …

Für den Moment und meinen aktuellen Wunsch, etwas zu tun, helfen mir eher die Ideen weiter, die Brot für die Welt als Antwort auf die Frage auflistet, wie jeder von uns beitragen kann, den Hunger zu lindern. Auf dieser Basis habe ich für mich folgende drei Vorsätze gefasst:

1. Ich will meinen Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren.

Ich bin dabei. Aber es ist immer wieder gut, sich daran zu erinnern, dass es auch ohne geht. Denn wenn ich Fleisch, Fisch, Eier oder Milchprodukte esse, dann bewusst und mit Genuss; nicht aus einem Reflex heraus („Alles schmeckt besser mit ein bisschen Sahne.“). Nein, verbissen werden will ich deshalb nicht.

2. Ich will mehr fair gehandelte Lebensmittel kaufen.

Wenn man irgendwo ansetzen kann, dann wohl bei kleinen Initiativen von unten: bäuerlichen Kooperativen zum Beispiel. Im Bioladen gibt es inzwischen eine Menge Produkte, die Bio und fair sind. Das ist schon ganz gut, aber heute war ich nach langer Zeit mal wieder in einem Weltladen und habe festgestellt, was es dort alles gibt. Jede Menge toller (und genussversprechender) Sachen nämlich. Wenn es so ist, dass Konsumenten die Macht haben, dann setze ich meine gerne dort ein.

3. Ich will verhindern, dass mein Geld für Nahrungsmittelspekulationen genutzt wird.

Und das heißt: meine Kröten nur zu solchen Banken tragen, die so etwas grundsätzlich ausschließen. Meine Girokonten habe ich schon länger bei der GLS Gemeinschaftsbank. Aber es gibt da noch so Tagesgelddinger, und die will ich jetzt auch endlich mal umziehen. Auch wenn das bedeutet, auf ein paar Prozentpunkte Zinsen zu verzichten. Das ist etwas, das ich mir jetzt endlich ganz konkret für nächste Woche vornehme.

All das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber Wasser, das verdampft, steigt immerhin in die Atmosphäre auf und kommt anderswo als Regen herunter. Ich hoffe halt, dass es dann ein Regentropfen an der richtigen Stelle wird. Vielleicht einer, der einer Mais- oder Reispflanze zum Wachsen verhilft.

Wie ist das bei Euch? Habt Ihr noch mehr, noch bessere Ideen für machbare kleine Schritte gegen den weltweiten Hunger? Mir ist jeder weitere Gedanke willkommen!

12 Gedanken zu “Guten Hunger? Viele Fragen und 3 Vorsätze zum Welternährungstag

  1. Tring

    Eigentlich ist es wie du sagst – das beste ist wohl, wenn jeder bei sich selber anfängt und das tut, was er in seinem kleinen privaten Kontext tun kann: Wenn möglich fair trade einkaufen, solche Unternehmen/Anbieter boykottieren, die durch entsprechendes Verhalten/Arbeitsbedingungen zu der schlechten Situation beitragen, nicht mit Lebensmitteln spekulieren… Obwohl das natürlich alles leichter geschrieben als gesagt ist. Und je nachdem wie viel man verdient, kann das bspw. bei Lebensmitteln eine echte Einschränkung bedeuten, wenn man so viel wie möglich Fair Trade kauft. Letztlich muss man sich einfach fragen, was einem es wert ist, dass es nicht nur einem selbst gut geht.
    Darüber hinaus fällt mir nur eins ein: sich politisch engagieren. Es ist immer relativ bequem zu behaupten, dass „die da oben“ nichts tun, während man gemütlich zu Hause in seinem Sessel sitzt. Und wenn jeder so denkt, passiert eben auch nichts…

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Hallo Tring, danke für die Ergänzung! Du hast schon recht: Gutes Gewissen muss man sich leisten können. Aber wenn schon mal die Fairtrade kaufen, die dazu finanziell in der Lage sind, ist ja auch schon was gewonnen. Das mit dem Engagieren stimmt vermutlich auch. Aber komischerweise fühle ich mich tatsächlich als Bürgerin viel machtloser denn als Konsumentin.

  2. Pingback: Schmausepost vom 18. Oktober | Schmausepost

  3. Dirk Weller

    Liebe Sabine Schlimm,
    vielen Dank für Ihren schönen Blog-Artikel.
    Ich stimme allem geschriebenen zu und es hat mein Herz erwärmt, es hier in diesen klaren, bodenständigen Formulierungen zu lesen.
    Eine kleine Ergänzung möchte ich machen zum Punkt „politisch engagieren“.
    Die Herausforderung an dieser Stelle ist, dass nicht einzelne Akteure „Schuld“ sind an der weltweiten Ohnmacht, den Hunger zu besiegen, sondern unsere momentane globale Konstellation: eine Wirtschaft, die die Globalisierung schon vollzogen hat, und eine Politik bzw. gemeinschaftliche Willensbildung, die noch in sub-globalen Ebenen feststeckt und daher die Wirtschaft gar nicht auf Augenhöhe steuern kann. Mit anderen Worten: das Cockpit des ‚Raumschiff Erde‘ ist gar nicht besetzt, wir fliegen im wahrsten Sinnen des Wortes ungesteuert bzw. auf ‚Autopilot‘.
    Zum schrittweisen gemeinsamen Erschaffen einer wirklichen ‚Weltöffentlichkeit‘ und einer bürgerInnen-getriebenen ‚Welt-Innenpolitik‘ möchte ich Ihnen die Mitwirkung bei der Simpol-Initiative wärmstens ans Herz legen.
    Alle weiteren Informationen finden Sie unter http://de.simpol.org
    Herzliche welt-solidarische Grüße,
    Dirk Weller

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Hallo Herr Weller, vielen Dank – für Ergänzung und Link. Soweit ich das auf die Schnelle beurteilen konnte, finde ich den Simpol-Ansatz interessant. Aber (ohne jetzt die Diskussion über Ihr Konzept hierher verlagern zu wollen): Wird eine „Weltregierung“ die Probleme wirklich lösen können? Gemeinsame Willensbildung und Steuerung funktioniert ja schon auf europäischer Ebene nicht wirklich (und auch da schon gar nicht unabhängig von Wirtschaftsinteressen). Aber ich werde mich auf jeden Fall näher mit dem Thema befassen. Trotzdem habe ich das Gefühl, die größte Macht besitze ich mit meiner Kaufkraft.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Hallo Sandra, ich bin nicht bei Facebook und habe in dem, was von der Facebookseite öffentlich sichtbar ist, keinen einschlägigen Link gefunden. Magst Du ihn vielleicht hier direkt in den Kommentaren hinterlassen? Denn Gedanken zum Thema interessieren mich nach wie vor sehr.

  4. Sandra

    Hallo Sabine,
    es geht um einen Beitrag auf der HP von N24 „Keiner ist perfekt“ – Edeka verkauft hässliches Gemüse.
    Einige Supermärkte bieten als Versuch Obst und Gemüse mit Schönfehlern an. Das Ende der Standartgurke und der nicht zu stark gebogenen Banane?!
    Lieben Gruß
    Sandra

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Danke für die Ergänzung, Sandra! Ich bin wirklich mal gespannt, wie gut solche Initiativen auch von den Verbraucher/-innen angenommen werden. Ein Schritt in die richtige Richtung – weniger Essen auf dem Müll – ist es bestimmt.
      Nur dass ich mir manchmal nicht so sicher bin, wo der eigentlich hinführt. Okay, dann werden bei uns weniger Lebensmittel weggeworfen/untergepflügt. Und dann? Klar ist: Das, was dann übrig ist, kommt nicht den Hungernden zugute. Wird dann vielleicht weniger für den menschlichen Verzehr angebaut, und die übrigen Flächen werden genutzt, um Mais für Biosprit zu erzeugen? Ach, es ist alles kompliziert …

  5. Sandra

    Stimmt, das ganze ist furchtbar kompliziert! Ich hab das Gefühl in diesem Geschehen ein winzig kleines Licht zu sein. Natürlich kann man in seinem Umfeld Kleinerzeuger unterstützen und saisonal einkaufen. Aber ob das eine Auswirkung auf die Welt hat?
    Wir wohnen eh lich und für viele Familien reicht die Landwirtschaft nicht mehr für den Lebensunterhalt. Dem gegenüber stehen die Biogasanlagen. Die Landwirte bekommen mehr Geld für den Mais zum verbrennen, als für Getreide als Grundnahrungsmittel. Da geht es um die Existenz ganzer Familien. Wie schon an anderer Stelle erwähnt wurde, ein scjlechtes Gewissen muss man sich leisten können.

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