Nachtrag: Wenn Essen wirklich zum Glaubenskampf wird

Ja, Diskussionen ums Essen können manchmal ganz schön hitzig werden. Aber zumindest muss man hierzulande nicht befürchten, einen stinkenden Fisch an den Kopf zu bekommen, wenn man sich zu irgendeiner bestimmten Ernährungsweise bekennt.

Fischmarkt Indien

Da, wo Essen aber tatsächlich noch viel mit Religion (oder Politik oder beidem) zu tun hat, können Konflikte darüber auch schon mal handgreiflich werden. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete im Oktober 2012 [ref]NZZ Folio Oktober 2012, Schwerpunkt Bombay, online nur als Bezahlversion [/ref] von Überfällen auf Vegetariersiedlungen in Mumbai, bei denen mit Fisch gekämpft wurde.

In Indien ist die fleisch- (und fisch-)lose Ernährung ja weit verbreitet. Dabei spielt zum einen das Prinzip der Gewaltlosigkeit (ahimsa) eine Rolle, das der Hinduismus von Buddhismus und Jainismus übernommen hat und das sich auch auf Tiere erstreckt. Zum anderen gilt eine vegetarische Kost als besonders rein. Die Priesterkaste der Brahmanen aß traditionell fleischlos, um sich nicht durch niedere Leidenschaften von Meditation und Gebet ablenken zu lassen.

Allerdings hat nie ganz Indien vegetarisch gelebt. Die niederen Kasten haben immer Fleisch gegessen, wenn sie es bekommen konnten, und die Muslime sowieso, und in Küstengegenden stand Fisch selbstverständlich auf dem Speiseplan. Heute beträgt der Vegetarieranteil in Indien vermutlich ca. 40 %; Tendenz sinkend – weil der Vegetarismus so eng mit der Religion verknüpft ist, gilt er zunehmend als etwas altmodisch. Wer sich als modern und aufgeschlossen zeigen will, tut das bevorzugt beim Burgeressen.

Dennoch gibt es in Mumbai (und möglicherweise in anderen indischen Städten auch) nach wie vor Wohnsiedlungen, in die kein Steak und kein Hähnchenschenkel gebracht werden darf. Natürlich wecken Wohnungen dort in dieser wohnraumknappen Stadt auch Begehrlichkeiten bei Nicht-Vegetariern. Das hat sich ausgerechnet die Shiv Sena, die rechte Hindupartei, zunutze gemacht. Deren Anhänger rekrutieren sich in Mumbai aus traditionell Fisch essenden Bevölkerungsgruppen, berichtet die NZZ, und so kam es denn schon öfter zu Angriffen auf Vegetariersiedlungen, um zu erzwingen, dass dort auch Nicht-Vegetarier einziehen dürfen. Den Forderungen wurde durch Fischwerferei Nachdruck verliehen. Lecker.

Übrigens vertreten Vegetarier ihre Interessen in Indien auch nicht immer auf die feinste Art. Vor einiger Zeit gab es Aufregung, weil man in einem indischen Schulbuch für den Gesundheitsunterricht ein paar ganz erstaunliche Behauptungen gefunden hatte: Fleischesser, so hieß es dort, seien Lügner und Betrüger, vergäßen Versprechen und neigten zu Gewalttaten und Sexualverbrechen. Es ist anzunehmen, dass Ähnliches ganz ohne Schulbuch häufiger gelehrt wird.

In Israel wiederum, wo Schweinezucht gesetzlich verboten und nur in einigen Landesteilen mit mehrheitlich christlich-arabischer Bevölkerung geduldet ist, entzünden sich an der Frage „Schwein oder nicht Schwein?“ alle möglichen Konflikte: zwischen jüdischen Speisevorschriften (die Schweinefleisch als nicht koscher verbieten), christlich-arabischen Esstraditionen und säkularem Genusswillen, über die religiöse oder säkulare Identität des Staates Israel und über Fragen des Tierschutzes.

Bin ich froh, dass bei uns die Diskussionen ums Essen immer noch vergleichsweise glimpflich ablaufen! Es könnte alles viel schlimmer sein.

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