Deutsche Heimwehküche in Schweden

Begegnen wir dem Essen wieder, mit dem wir aufgewachsen sind, werden manchmal starke Gefühle geweckt: „Toll – das schmeckt genau wie der Sonntagsbraten früher!“, „Igitt – Erbsensuppe kann ich bis heute nicht essen; die habe ich als Kind schon gehasst.“ Das ist allerdings nicht immer der Fall: Manche Gerichte gehören einfach so selbstverständlich zu unserem Leben, dass wir darüber kaum nachdenken – geschweige denn in uns hineinhorchen, was wir emotional mit ihnen verbinden.

Was aber, wenn dieses Selbstverständliche gar nicht mehr selbstverständlich ist? Weil sich die Lebensumstände geändert haben zum Beispiel? In dieser Interviewreihe befrage ich Menschen, die aus dem Land ihrer Kindheit weggezogen sind, nach Essgewohnheiten, Lieblingsgerichten und einem Heimwehgefühl, das sich am Geschmack von früher festmacht.

Den Anfang machen Susanne und Dirk. Die beiden sind 2007 aus beruflichen Gründen nach Schweden gezogen, in die Nähe von Stockholm.

Was empfindet ihr als typisch schwedische Essgewohnheiten?

Susanne: Dass es hier jeden Donnerstag dicke, gelbe Erbsensuppe und danach Pfannkuchen gibt, mit Sahne und Marmelade. Manche Leute weichen zwar gelegentlich von der Erbsensuppenregel ab, aber Donnerstag ist Suppentag.

Dirk: Und jeden Freitag gibt es Texmex.

Susanne: Ja, das gehört zum Fredagsmys, dem Einläuten des Wochenendes mit der Familie. Mys würde man übersetzen mit Kuscheln oder Gemütlichkeit. Die Familien setzen sich hin und essen Tortillas oder Tacos, gefüllt mit allem Möglichen. Viele finden das super als Essen für kleine Kinder, weil sich die Kinder selbst aussuchen können, was sie reinfüllen. Es gibt viele Familien, die essen wirklich jeden Freitag mexikanisch und danach Chips vor dem Fernseher.

Dirk: Und samstags gibt es Godis, also diese losen Süßigkeiten, die man sich für kleines Geld selbst abpacken kann.

Schwedische Lösgodis: Samstag ist Zuckerschock-Tag

Schwedische Lösgodis: Samstag ist Zuckerschock-Tag

Susanne: Ja, und die gehören wirklich zum Samstag. Mir ist es mal passiert, dass ich mir montags im Supermarkt eine kleine Tüte zusammengestellt habe. Da war ein Papa mit seinen zwei kleinen Mädels beim Einkaufen, und als das eine der Mädchen mich sah, sagte es: „Guck mal, Papa – es ist doch gar nicht Samstag!“ Ich habe ihr dann erklärt, dass ich am Samstag aber keine Godis bekommen habe. Das fand sie dann okay.

Dirk: Außerdem gibt es zu Weihnachten, Ostern und Midsommar immer das gleiche Essen: Das besteht aus Sill (eingelegtem Hering in verschiedenen Geschmacksvarianten) und kalt- oder warmgeräucherter Lachs. Dann ist auf jeden Fall ein Schweineschinken dabei, außerdem Janssons Frestelse (Kartoffel-Anchovis-Auflauf); Köttbullar (kleine Hackbällchen) und Prinskorv (kleine Cocktailwürstchen, die an den Enden aufgeschnitten und gebraten werden). Das ist das weihnachtliche Julbord. Zu Ostern kommen noch Eigerichte und an Midsommar neue Kartoffeln und Erdbeeren dazu. Das sind die drei großen Feste, die die Schweden feiern, und da gibt es immer das gleiche Essen.

Welche schwedischen Essensvorlieben habt ihr übernommen?

Susanne: Frikadellen bereiten wir inzwischen anders zu, nämlich so klein wie Köttbullar und in einer Sahnesoße mit Lingon, also Preiselbeeren. Die Schweden essen viele Dinge, die eine leicht süße Note haben. In vielen Gerichten geben Preiselbeeren die Süße. Gerade das haben wir übernommen.

 

Köttbullar: Süße Preiselbeeren gehören in Schweden dazu

Köttbullar: Süße Preiselbeeren gehören in Schweden dazu

Dirk: Und Pytt i panna.

Susanne: Eigentlich ist das ein Resteessen: Kartoffelwürfelchen mit übrigem Fleisch, dazu gibt’s Spiegelei und Rote Bete.

Dirk: Also, ich ess auch gerne Ei mit Kaviar – so eine Fischcreme aus der Tube, die man sich aufs Butterbrot schmiert.

Susanne: Die gibt es auch in ganz perversen Geschmacksrichtungen. Eine Zeitlang war das mal in gestreift modern, da gab es dann auch Banane mit Kaviar gestreift. Das ist allerdings auch bei den Schweden nicht so supergut angekommen.

Gibt es schwedische Essgewohnheiten, die ihr nach wie vor seltsam oder sogar fies findet?

Susanne: Surströmming (fermentierten Hering). Möcht ich auch in meinem Leben nicht probieren.

Gibt es Lebensmittel, die ihr in der neuen Heimat vermisst und die ihr euch von Besuchern aus Deutschland mitbringen lasst?

Dirk: Das ist wenig geworden. Brot war lange ein Thema. Aber jetzt gibt es hier eine deutsche Bäckerei, wo wir unser Brot kaufen. Davor war es sogar so, dass wir unseren eigenen Sauerteig hatten und Brot selbst gebacken haben.

Susanne: Weil Brot meistens gesüßt wird und es relativ schwierig ist, eins mit einer festen Krume zu bekommen, wie man das von einem deutschen Bäcker gewohnt ist. Insgesamt ist das Angebot in den fünf Jahren, die wir hier sind, deutlich besser geworden. Nutella war früher schwierig zu kriegen, aber das gibt es jetzt überall.

Dirk: Und wir haben uns umgestellt. Was wir am Anfang vermisst haben und uns haben mitbringen lassen, das waren Spätzle. Die machen wir aber jetzt selber.

Susanne: Ich habe am Anfang Paprikachips vermisst, denn die Schweden lieben eher Dillchips. Manchmal wünsche ich mir so richtig gute, deutsche Essiggurken – die sind in Schweden deutlich süßer. Und die süßsauer eingelegten Maiskölbchen. Maiskölbchen gibt es nur in Wasser in der Dose, und die schmecken dann – scheiße. Ich habe neulich die Reste aus so einer Dose mal in ein leeres Gurkenglas in den restlichen Gurkensud gestopft. So haben sie zumindest einigermaßen geschmeckt wie gewohnt. Solche Sachen vermissen wir. Aber wenn uns heute jemand fragt, was er uns mitbringen soll, fällt uns schon manchmal gar nicht mehr so richtig was ein. Klar hat man bestimmte Kindheitserinnerungen, bei denen man denkt: Oh, das hätte ich aber wirklich gerne mal wieder. Eine Zeitlang habe ich mal irgendwelche Haribo-Sorten vermisst. Dann überkommt’s einen halt mal, man bestellt es bei den Nächsten, die aus Deutschland zu Besuch kommen – und wenn man’s dann hat, dann denkt man: Na ja, soo wichtig war es jetzt vielleicht auch nicht. Denn dann ist dieser eine Moment schon vorbei.

Gibt es irgendwelche Gerichte, auf die ihr Lust bekommt, wenn euch Heimweh überfällt?

Susanne und Dirk (gleichzeitig): Spargel.

Spargel mit Kartoffeln, Schinken und Sauce hollandaise: So schmeckt für Susanne und Dirk Heimat.

Spargel mit Kartoffeln, Schinken und Sauce hollandaise: So schmeckt für Susanne und Dirk Heimat.

Susanne: In Schweden wächst vorwiegend grüner Spargel. Weißer ist eigentlich immer importiert, oft aus Deutschland. Ich habe mich mal mit einem Händler fast angelegt, weil der meinte, sein Spargel sei so superfrisch. Und ich habe den nur angeguckt und gesagt: Das ist kein frischer Spargel. Für ihn war der halt total frisch, aber ich – in einer Spargelgegend aufgewachsen – war natürlich anderes gewöhnt und habe gleich gesehen, dass die Enden schon trocken sind. Da war er etwas beleidigt. Kann man ja auch verstehen.

Aber ansonsten … Heimwehgerichte sind natürlich oft einfach Familiengerichte. Das lässt sich nicht am Land festmachen. Neulich dachte ich zum Beispiel mal an Hefeklöße, also Buchteln, die meine Mutter früher gemacht hat. Die sind für mich Zuhause, aber eben mein ganz persönliches, und das hat nichts mit Deutschland oder Schweden zu tun. Buchteln in Schweden zu machen wäre nun wirklich überhaupt kein Problem, weil die Schweden wirklich Hefeteigprofis sind.

Wenn ihr wieder nach Deutschland zurückkehren würdet, welche schwedischen Lebensmittel oder Rezepte würdet ihr mitnehmen?

Dirk: Ich glaube, Pytt i panna würde ich vermissen. Das macht man halt nicht selber, sondern reißt die Tiefkühlpackung auf und lässt es in der Pfanne heiß werden, dann machst du ein Spiegelei dazu und fertig.

Susanne: Köttbullar könnte man ja immer noch genauso kochen. Aber es gibt schon Süßigkeiten, die es in Deutschland nicht gibt, die ganz nett sind. Was wir definitiv vermissen würden, wenn wir wiederkämen, wäre die Möglichkeit, 7 Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr im Supermarkt einkaufen zu können, auch an Feiertagen. Wenn ich mich daran erinnere, wie stressig unsere Samstagvormittage in Deutschland waren: erst den kompletten Wocheneinkauf runterreißen, dann putzen, und dann fing das Wochenende um vier Uhr an. Aber frag uns mal wieder, wenn wir mal wieder ein Jahr in Deutschland sind, dann fällt uns sicher mehr ein.

Vielen Dank, Susanne und Dirk!

3 Gedanken zu “Deutsche Heimwehküche in Schweden

  1. Chawwa

    Ich habe darüber nachgedacht, ob das mit dem „Heimweh nach der Herkunftsküche“ für mich so stimmt. Für mich steht im Vordergrund, dass Essen elementare Glücksgefühle (re)aktiviert. Ich sehne mich nicht nach irgendeiner Heimat und versuche deshalb so zu kochen, wie man dort kocht, sondern ich erinnere mich an glückliche Augenblicke in meinem Leben und die sind oft mit bestimmten Speisen markiert. Ich schwärme für Baklava, seit ich diese zuckertriefenden Köstlichkeiten in Izmir das erste Mal gegessen habe, an einem besonders glücklichen Tag meines Lebens. Oder ich erinnere mich an den Abend im norwegischen Bergen, als ich zum ersten Mal Stockfisch gegessen habe – ist nicht eine Leibspeise geworden, aber ich meine noch den salzigen Geschmack auf der Zunge zu spüren und denke dabei an das fröhliche Zusammensein mit meiner Freundin, die leider jetzt schon tot ist. Solche Erinnerungen durch bestimmte Speisen an Personen und Glücksmomente spielen in meinem Küchengedächtnis eine große Rolle. Aber es gibt auch das andere, stelle ich gerade fest. Als wir nach knapp drei Jahren Leben und Arbeiten in einem schweinefleischlosen, weil muslimischen Land wieder nach Deutschland zurück kamen, haben wir uns einen Schweinebraten zum Mittagessen gewünscht – also doch Heimwehküche!

  2. Sabine Schlimm Artikel Autor

    Danke für diese Ergänzungen, Chawwa! Klar, der Begriff Heimat ist bestimmt nicht das Einzige, was beim Essen emotionale Reaktionen hervorruft. Und auch für Susanne, das sagt sie ja im Interview, hat Heimwehküche weniger mit dem Land zu tun als mit individuellen Kindheitserinnerungen. Mich interessiert halt, was passiert, wenn bestimmte Lieblingsgerichte wegfallen, weil z. B. im Ausland die Zutaten dafür nicht erhältlich sind. Das mit den Deutschen und dem Brot ist ja schon echt ein Klassiker. Aber ich bekam in meinem Studienjahr in England plötzlich einen Jieper auf Kohlrabi, weil es den dort nicht gab. Die Serie wird ja weitergeführt – ich bin selbst gespannt, was für Erkenntnisse sich daraus ergeben!

  3. Chawwa

    Manchmal geht es noch nicht einmal um fehlende Zutaten sondern um andere Zubereitungsweisen. Seit ich aus dem Rheinland nach Niedersachsen gezogen bin, habe ich Schwierigkeiten, die richtige Blutwurst für Flünz oder Kölsch Kaviar zu bekommen. Blutwurst wird hier einfach anders zubereitet. Auch Mettwurst im rheinischen Sinne gibt es hier nicht, das hier heimische Produkt Pinkel ist eher eine Grützwurst und schmeckt entsprechend anders…….

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert