Hmm, Lakritz – iih, Bärendreck!
Geschmack ist kulturell geprägt. Um das zu belegen, muss ich noch nicht einmal Exotisches wie gegrillte Vogelspinnen oder rohen Walspeck bemühen. Selbst Deutschland wird von (mindestens einem) kulinarischen Graben geteilt: dem Lakritzgraben. Im Süden hasst man das schwarze Naschzeug, im Norden liebt man es. Jetzt mal so pauschal gesagt.
Bei uns geht der Lakritzgraben quer durch den Haushalt: Ich, Kind des Niederrheins, bin mit den extrascharfen „Dubbel Zout“-Lakritze aufgewachsen, die es einen Katzensprung weiter jenseits der holländischen Grenze gab. (Damals stand auf den Tüten noch nicht der Warnhinweis „Erwachsenenlakritz, kein Kinderlakritz“. Wäre uns aber vermutlich auch egal gewesen.) Folgerichtig liebe ich das schwarze Zeug. M. dagegen, geboren und sozialisiert in Bayern, weigert sich sogar, mich zu küssen, wenn ich Lakritz gegessen habe. „Bärendreck“, ist sein einziger Kommentar zu der wunderbar salzigen Süßigkeit. Und wenn ich dabei seinen Gesichtsausdruck betrachte, möchte ich nicht ausschließen, dass er wirklich denkt, ein stinkender alter Bär mit Motten im Fell hätte da seine Tatzen mit im Spiel gehabt.
Die Gründe für diese Unterschiede der Vorliebe – die ich auch quer durch meinen gemischt süddeutsch-norddeutschen Freundeskreis bestätigt finde – waren mir lange unklar. Ich habe deswegen sogar mal in der Presseabteilung eines großen Lakritzhersteller nachgefragt. Damals hat man mir zwar bestätigt, dass tatsächlich ein Nord-Süd-Gefälle in den Lakritz-Absatzmengen besteht, aber zum Warum konnte man auch nur die Schultern zucken. Die Schwäbische Zeitung hatte jetzt mehr Erfolg bei der Recherche. Zum einen kann sie den Lakritzgraben exakt auf Höhe der Rhein-Main-Linie verorten. Zum anderen bietet sie die Theorie an, dass der Lakritz-Grundstoff Süßholzwurzel vor allem in Küstennähe populär war, weil er per Schiff nach Nordeuropa kam.
Hmm. Ich frage mich ja schon, wie es dann Kaffee, Kakao oder Zimt geschafft haben, über die Küstengegenden hinaus populär zu werden. Worauf mir vermutlich jeder süddeutsche Lakritzverächter antworten würde: „Na ja, die schmecken halt, ganz im Gegensatz zu (ürgs) Bärendreck!“ Womit wir wieder am Anfang wären. Mir beweist das ganze Phänomen ja vor allem eines: als wie widerstandsfähig und dauerhaft sich solche gelernten Geschmacksvorlieben erweisen können.
Obwohl: Eine Frage hätte ich da doch noch – warum sich nämlich ausgerechnet am Münchner Hauptbahnhof ein Katjes-Fabrikverkauf befindet. Aber vielleicht ist der ja auch für die Norddeutschen gedacht, die nach entbehrungsreichen Tagen in Bayern nun den Rückweg in den Norden antreten. Mit Lakritz als Reiseproviant.
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Ach, das ist ein Nord-Süd-Gefälle? Und ich dachte einfach, ich hätte nen guten Geschmack. Wieder was gelernt ;-).
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Danke für diese aufschlussreichen Artikel, der meine tagtäglichen Erfahrungen widerspiegelt.
Als Schleswig-Holsteinerin in Bayern freue ich mich darüber, dass die Kollegen die ihnen angebotenen Lakritze ablehnen (mehr für mich!!) und ärgere mich, dass ich mein Lakritz „imporieren“ muss, denn was bei uns an Stark- und Erwachsenenlakritz im Norden an jeder Tankstelle zu haben ist und oft auch von dänischen Herstellern verfügbar ist, ist hier nicht vorstellbar. Und die Kinderlakritzsorten ohne Salmiak, die es hier gibt, schmecken mir einfach nicht. Aber dafür haben Besucher aus der Heimat immer schöne Mitbringsel dabei :)
Und über den Katjesladen in München habe ich mich wie du schon gewundert, aber auch schon daran erfreut!
Hallo Franzi,
ja, das kann ich dir nachfühlen! Aber biete den bayrischen Banausen bloß nicht zu häufig etwas an von deinen kostbaren Lakritze – der Lakritzverächter an meiner Seite hat plötzlich eine Kehrtwendung gemacht und isst das Zeug jetzt doch. Nix mehr mit „mehr für mich“!