Abgetörnt? Wenn Foodporn die Kochlust tötet
Was ist eigentlich wichtiger: der Appetit oder das Essen? Das Gucken oder das Selbermachen? Nicht nur bei mir dürfte ein seltsames Verhältnis herrschen zwischen der Zahl von Rezepten und Foodfotos, die mir tagtäglich das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen (viele), und der derer, die ich tatsächlich koche (wenige). Und das sorgt mitunter für eine seltsame Fehlwahrnehmung: dass nämlich überall und ständig köstlichste Gerichte auf den Tisch kommen, perfekt gelungen und vollendet angerichtet. Nur bei mir nicht.
Alle anderen … nur ich nicht
Gerade in stressigen Zeiten hat das bei mir manchmal den Effekt, dass ich die Lust am Kochen ganz verliere oder mich auf bewährte, aber anspruchslose und/oder unfotogene Schnellgerichte zurückziehe (die ich dann aber auch niemandem zeige). Die Liste mit Wolltest-du-eigentlich-auch-endlich-ausprobieren-Gerichten wird immer länger, und gleichzeitig denke ich: „Ach, viel zu anstrengend.“
Dass ich nicht die Einzige bin, der es so geht, weiß ich aus vielen, vielen Gesprächen. Erzähle ich nämlich von meinem Beruf, höre ich häufig: „Ach, du machst (= schreibst, lektorierst, übersetzt) Kochbücher? Die frustrieren mich immer eher. Was man selbst gekocht hat, sieht ja doch nie aus wie das auf dem Foto.“ Und dann folgt oft der Nachsatz, dass „die Foodfotografen“ ja sowieso alle mit Haarspray und Leim arbeiten und man das alles nicht mehr essen könne.
(An dieser Stelle gerät mein Text ein bisschen auf Abwege, denn über das Wie der Foodfotografie wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Na gut, nenne ich es also „Exkurs“: Ich war schon in etlichen Fotostudios und durfte Foodfotografen und -fotografinnen und Foodstylistinnen über die Schulter gucken. Nirgendwo habe ich eine Dose Haarspray rumstehen sehen. Stattdessen haben mir diese Einblicke großen Respekt vor der Kunstfertigkeit der Foodfotografie-Profis eingeflößt, die nicht mit Kleber und Lack arbeiten, sondern mit Kreativität und einem genauen Blick, der ihnen sagt, ob ein Krümel oder Kräutlein oder Löffel dem fertigen Foto noch guttut oder schon zu viel ist. Der Respekt ist übrigens noch weiter gewachsen, seit ich selbst mehr schlecht als recht mit Kamera und Essen experimentiere. Und: Nicht nur einmal durfte ich von den Fotomodellen auch kosten; besonders häufig übrigens während des Fotoshootings für die Backschätze* von Anne-Katrin Weber und mir, für die Anne-Katrin selbst das Foodstyling gemacht und Wolfgang Schardt fotografiert hat. Und, ganz ehrlich? Die Sachen waren nicht nur essbar, sondern schmeckten ganz genau so gut, wie sie aussehen. Von etlichen Kuchen schwärmt meine ‒ ebenfalls profitierende ‒ Bürogemeinschaft noch heute.)
Gefrustet von dem, was Lust machen soll
Zurück zum Thema: Perfekte Fotos von Rezepten machen Appetit, aber sie können auch die Hürde zum Selberkochen erhöhen. Foodporn eben. So wenig ich diesen Begriff mag, der in den letzten Jahren verstärkt durchs Internet schwirrt (weil ich ihn irgendwie unappetitlich finde) ‒ hier scheint er mir treffend. Wer Sex nur aus Pornos kennt, denkt ja vielleicht auch, so müsste er sein. Je nach Veranlagung endet das dann womöglich in Enttäuschung oder Erfolgsdruck. Ich fürchte, das kommt auch beim Kochen vor.
Was aber ist genau die Alternative? Unappetitliche Foodfotos können es ja wohl auch nicht sein. Als ich noch in der Redaktion eines Kochbuchverlags gearbeitet habe, gab es unter den „unverlangt eingesandten Manuskripten“ immer mal welche, die mit selbst geschossenen Fotos und dem Kommentar versehen waren: „Ich will nicht, dass die Rezeptfotos immer so unnatürlich aussehen, deshalb habe ich selbst welche gemacht, die bitte genau so abgedruckt werden sollen.“ Ich überlasse es eurer Fantasie, sich die Fotos vorzustellen. Sie mögen authentisch gewesen sein ‒ zur Veröffentlichung geeignet waren sie nicht.
Wer will schon normal?
Ein Kochbuch verkauft sich nicht zuletzt über Fotos, die einen Haben-wollen-Impuls auslösen, und auch der Erfolg eines Foodblogs hängt mit appetitlichen Fotos zusammen (ich weiß, ich weiß, ich übe noch). Unbedingte Authentizität ist da nicht immer das Erfolgsrezept. Das ist wie in der Mode: Auch die Brigitte gab das Experiment, Mode an „ganz normalen Frauen“ zu fotografieren, wieder auf, weil die Leserinnen das offenbar doch nicht so gerne sehen wollten. Offenbar wünschen wir uns also, eine idealisierte Normalität geboten zu bekommen ‒ um uns dann davon unter Druck setzen zu lassen.
Das Internet mit dem allgegenwärtigen Foodporn erhöht dabei diesen Druck nicht unbeträchtlich. Aber gleichzeitig bietet es auch Trost und Heilung. Die britische Zeitung The Guardian rief vor einigen Monaten Leserinnen und Leser dazu auf, Fotos von Gerichten zu schicken, die aus Kochbüchern oder Internet nachgekocht wurden ‒ und auf denen auch das Originalbild zu sehen ist. Zusammengekommen sind fast 60 Einsendungen, die die gesamte Bandbreite von „perfekt gelungen“ bis „Küchenkatastrophe“ abdecken. Aber selbst in den Fällen, in denen Original und Nachbau ziemlich 1:1 nebeneinanderstehen, sieht das reale Essen auf den nicht bewusst künstlerisch gestalteten Fotos irgendwie sehr … normal aus. Beruhigend normal. Ermutigend normal.
Wer härtere Maßnahmen braucht, sozusagen Schocktherapie fürs Küchen-Selbstbewusstsein, der schaut sich auf Heikes Blog Kochzeilen die Zusammenfassungen des Dauer-Blogevents „Ugly Food“ an, am besten angefangen bei Nr. 1. Dann wird nämlich klar: Auch bei denen, die’s können, geht mal was schief oder sieht eher mittelmäßig aus. Gekocht wird doch fast überall mit Wasser, und selbst wenn irgendwo statt Wasser auch mal eine Reduktion vom Trüffelfond zum Einsatz kommt, dann jedenfalls nicht an 365 Tagen im Jahr. Perfektionsdruck machen wir uns selbst. Auch beim Kochen.
Ich werde versuchen, das im Blick zu behalten. Und weil ich jetzt noch ein paar so schöne Scheußlichkeiten aus meinem Fotoarchiv gezogen habe, reiche ich diesen Beitrag direkt bei Heikes Ugly-Food-Event ein.
Und ihr? Lasst ihr euch manchmal von den Rezepten und Fotos auf Blogs und in Kochbüchern unter Druck setzen?
- Zander mit Paprikakraut
- Tafeln in den Karpaten: Vom gemeinsamen Essen
(nicht ganz ernst gemeinte) Probe aufs Exempel an Deinem Buch Seelenfutter:
Chili Con Carne – sieht so aus wie auf dem Foto, allerdings hatten wir keine frische Petersilie drauf
Linseneintopf – sieht auch fast so aus wie auf dem Foto, nur ohne den Staudensellerie (würg!)
Hühnersuppe – passt scho‘, aber Buchstabennudeln sind lustiger als Sternnudeln ;-)
Pho Bo – nee, die Nudeln sind viel zu schön verteilt, ich hab die nur im großen Klumpen gehabt
Mir fällt beim Nachkochen und -backen auf, dass häufig die dargestellten Beispiele nie mit der im Rezept verwendeten Menge erreicht werden könnten. Zum Beispiel hat ein Baumkuchen mehr Schichten als ich in vorsichtigster Backweise rauskitzeln könnte oder es gibt viel mehr Soße als aus 200ml Sahne stammen könnte.
Im Allgemeinen finde ich das aber nicht schlimm. Ich koche nicht nach Fotos sondern nach den Angaben.
Hm…ich lasse mich gerne von den Fotos inspirieren, unter Druck setzen lasse ich mich aber nicht.
Was meine eigenen Fotos angeht…nun, ich übe noch. Manchmal veröffentliche ich auch Fotos, von denen ich so gar nicht überzeugt bin, wenn ich das Essen erwähnenswert finde, Foto hin, Foto her.
Und nun mal zu deinen Bildern: Ich hätte bitte gerne eine Portion vom Rindfleisch, und auch die Kartoffeln lachen mich an. Die finde, man sieht durchaus, wie gut das geschmeckt haben muss. Auch, wenn es alltägliches ist, denn auch für den Alltag brauchen wir doch Inspirationen.
Die derzeitige, auch in Blogs weit verbreitete, Türmchen-Präsentation aller möglichen Gerichte finde ich ehrlich gesagt vollkommen abtörnend – reine Spielerei mit Essen. Dafür habe ich weder Zeit noch die Ambitionen. Auch für mich bzw. uns gehört das Essen appetitlich präsentiert – und zwar jeden Tag und zu jeder Mahlzeit. Das Auge isst nun mal mit. Auch ich fotografiere gern und gern auch leckeres Essen – ich kann mich aber nicht erinnern, dass deshalb mal das Essen (zu) kalt geworden wäre. Irgendwo muss man – auch sich selbst – Grenzen setzen (wobei die Grenzziehung natürlich persönlich erfolgt).
Übrigens: Was Du an den Gerichten auf den ersten zwei Fotos auszusetzen hast, ist mir unklar. Sie sehen durchaus appetitlich aus, auch wenn die Gesamtkomposition der Fotos nicht so gelungen ist. Nach dem im Bier geschmorten Rindfleisch wäre mir jetzt auch zu Mute … bloß … wo ist das Rezept? Kommt das im nächsten Beitrag? Wir sind jetzt schon zwei (Kommentatoren), die Appetit drauf hätten ;-)
Ich lasse mich nicht von Fotos unter Druck setzen und es gibt hier im Hause H. 3 verschiedene Arten zu kochen. 1. Kochen für einen neuen Post. Das Rezept wurde (idealerweise) schon einmal erprobt, die Zubereitung wird dokumentiert (wodurch es eben doch dauert, bis das Essen auf dem Tisch steht) und ein möglichst gutes „Abschlussbild“ (mit einer eher winzigen Portion) wird erstellt. So was geht meist nur am Wochenende. 2. Ausprobierendes Kochen. Ich nehme mir ein Rezept, probiere damit herum, ohne Fotos, ganz entspannt. Mnachmal wiederhole ich das selbe Rezept dreimal, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Dann folgt 1.
Und 3. Ich muss etwas auf den Tisch bringen, habe wenig Lust zum Kochen und/oder wenig Zeit. Dann gibt es die so genannten Klassiker, Chili, Pizza (geht nur mit ein wenig Voausplanung), Risotto, Linsen, Pasta und derlei.
Und ein Frage hätte ich noch, was sind das für köstliche Klöße im Rindfleisch?
Foodporn, ich mußte lachen, als ich dieses Wort das erste Mal gehört habe. Nun ja, wobei ich dazu einwenden möchte ich bin kein gelernter Koch, dass es mich nicht stört, wenn mein Gericht, welches ich gerade mühsam gestaltet habe, dem Vorbild aus dem Kochbuch optisch nicht 1:1 entspricht. Diesen Anspruch haben unsere Kunden aus dem Gastrobereich, jedoch nicht ich, der das Essen mehr zum Zwecke der Nahrungsaufnahme sieht und weniger als optisches Kulturgut.
Und wie beim Sex kommt es doch mehr auf das Wie an!
Fröhliche Weihnachten und einen fleißigen Weihnachtsmann Euch alle.
Liebe Sabine,
du
hast
recht!
Ich bewege mich momentan vermehrt und gezielt in den Kreisen derer, die gerade zu kochen anfangen, meistens Fix-Produkte benutzen und/oder die kochen als lästige Pflicht empfinden.
Und sie werden von meinen Fotos abgeschreckt!
Dabei baue ich nichtmal Türmchen, ich zeige einfachste Gerichte, Eintöpfe, Bratkartoffeln und Spinat. Aber ich musste tatsächlich anfangen, etwas schlechtere Fotos zu machen, bevor ich ein erstes „Oh das probier ich morgen mal“ bekam.
Wir/Die Foodies bewegen sich in einer Blase, die fast schon als elitär zu bezeichnen ist.
Das Leben vor Foodporn war etwas einfacher…
PS: Ugly Food ist etwas eingeschlafen, aber falls es doch mal wieder eine Zusammenfassung gibt, wirst du erwähnt werden ;)
Die Bilder oben haben einen falschen Weissablgeich, sonst wären sie nicht mal so schlecht. ;-) Aber ich weiss was du meinst. Zum Glück ist mir das egal. Ich fotografier auch 0815 Essen. ;-)
Danke für den Tipp, Zorra! Besser fotografieren zu lernen steht definitiv in meinen Neujahrsvorsätzen für nächstes Jahr. ;-)
Vielen Dank Euch allen für Eure Erfahrungen!
@Jonathan: Wow, das freut mich ja, dass Du schon so viel aus dem Buch nachgekocht hast! Die Reisnudeln verkleben sehr leicht, das stimmt – schnelles Servieren ist bei mir der Trick. (Bloß nicht mit in die Brühe werfen – die quellen ohne Ende weiter. Und DAS sieht dann wirklich unappetitlich aus!)
@Susanne: Von Deinem Pragmatismus schneide ich mir einfach mal eine Scheibe ab. ;-) Und ja, ich habe mir vorgenommen, auch mehr Alltagsküche zu bloggen. Auch wenn ich die Rezepte manchmal selbst eher … wenig anspruchsvoll finde. Aber ich finde, es ist so leicht, sich von dem, was man im Netz findet, zu einem Schneller-Höher-Weiter animieren zu lassen. Also: back to the basics!
@Bentolily: Das Bild darf nicht zum Selbstzweck werden, das finde ich auch. Aber es ist manchmal nicht so einfach, die Grenze genau festzustellen. Danke für die netten Worte zu meinen Fotos! Das Rezept für geschmortes Rindfleisch folgt sicher irgendwann, aber da muss ich auch noch ein kleines bisschen am Rezept schrauben.
@Eva: Ja, grob diese Einteilung gibt es bei mir beim Kochen auch. Nur dass 3. leider gerade im Moment häufiger vorkommt, als mir lieb ist. Die Klöße? Das sind englische Dumplings. Hattest Du die nicht neulich auch mal in einem Gericht? Aber auch an denen muss ich noch ein bisschen was drehen, bevor sie gebloggt werden.
@Rüdiger: Optisches Kulturgut – gut gesagt! Klar, der Geschmack muss stimmen, das ist die Hauptsache.
@Heike: Danke! Ach ja, es ist so einfach, aus dem Blick zu verlieren, dass wir hier in mancherlei Hinsicht in einem Foodie-Paralleluniversum leben. Da muss ich mich auch immer mal wieder in die Realität zurückholen.
Euch allen herzliche Grüße aus dem Schnee-Urlaub! Übrigens: In einer Ferienwohnung, in der es zwar zwei Kochplatten, aber noch nicht mal einen Kochlöffel gibt, werden Kochambitionen automatisch etwas gedämpft.
hihi
Nee, ganz im Gegenteil: Ich liebe tolle Food-Fotos! Und unter Druck setzen lasse ich mich davon kein bisschen. Das heißt, ich bemühe mich natürlich schon, halbwegs ansprechende Fotos hinzukriegen. Aber das Tüfteln macht mir Spaß – und die Ergebnisse sind sicher weitab von perfekt. Mir doch egal. Wichtig ist, dass ICH zu den Bildern stehen kann. Und bei allen Bildern, die ich auf FB oder im Blog zeige, können die Leser davon ausgehen, dass das so ist. :)
Nicht missverstehen: Ich finde tolle Food-Fotos auch toll! Und habe, wie gesagt, großen Respekt vor denen, die sie hinkriegen. ;-) Deine mag ich sehr.
Pingback: Schmausepost vom 20. Dezember - Newsletter | Schmausepost
Zum Thema Realismus sei unbedingt auf die Schwadroneuse verwiesen:
http://kochenmitschwadroneuse.twoday.net/
Leider ohne Fotos, aber dafür aus dem Leben.
Tausend Dank für diesen Tipp – habe gerade laut gelacht beim Lesen der Kocherfahrungen „aus dem echten Leben“. Schade, dass das Blog offenbar nicht weitergeführt wird.
Ich bin über den Kaltmamsellbeitrrag bei dir gelandet – interessante Geschichten. food porn heißt ja eigentlich nur, dass man sich von was anturnen lässt was man gerade nicht haben kann, oder? Und klar dass einem von Porno auch schlecht werden kann, vor allem wenn er so einfallslos nach Schema F abläuft: gekreuzte Löffelchen, altes Holz, antikes Silberbesteck…hab ich alles schon durchexerziert. Schön ist es, wenn man durch Nachmachen zu seinem eigenen Stil findet. Und greislich ist, wenn man ein gutes Rezept liest und dazu ein fürchterliches Foto präsentiert kriegt. Ich mag es, wenn foodblogger/innen sich ein bisschen Mühe machen. What’s the point in showing ugly food?
Genau – das mit dem eigenen Stil ist allerdings leichter gesagt als getan! Und mit dem Fotografieren ist das eben so eine Sache. Klar, scheußliche Foodfotos können auch abtörnen, auf eine andere Art als allzu perfekte. Aber zu „what’s the point“: Manchmal zumindest zeigt es auch, dass eben tatsächlich nicht immer alles so perfekt ist. Routinesex, gewissermaßen. Ist alles eine Gratwanderung, zugegeben.