Die Sünde der Braven

Kann denn Essen Sünde sein? – Es soll sogar! Das legt jedenfalls dieses herzallerliebste Flohmarktfundstück nahe:

Buch "Die Küche der Schlanken und Schönen"

„Die Küche der Schlanken und Schönen“, ein Buch der Zeitschrift Essen & Trinken, erschienen vermutlich Mitte der 1970er (eine Jahreszahl steht leider nicht drin). Ich konnte daran einfach nicht vorbeigehen, allein schon wegen des tollen Titels und des Schinkenfettrands auf dem Cover eines Schlankheitsbuches.

Und ich wurde nicht enttäuscht: Alleine Rezepte wie die Kaviar-Eier („Eigelb [der hart gekochten Eier] mit der Kondensmilch verrühren, dann locker mit dem Kaviar mischen“), Überbackener Toast (mit Corned Beef, TK-Spinat und Scheiblettenkäse) oder Coq au Vin mit den vielversprechenden Zutaten Katenrauchschinken, Dosensahne und „Streuwürze“ lohnen die 50 Cent, die ich dafür ausgegeben habe.

Und dann stieß ich in der Einleitung auf folgende ominöse Sätze:

Und endlich verschafft Ihnen das bewußte Essen noch einen ganz auserlesenen Genuß: Es gibt Ihnen nämlich wieder, was Sie als hemmungsloser Törtchen-, Pralinen- und Eisbein-Esser längst verloren hatten, das prickelnde Gefühl der Amoralität und Sündhaftigkeit, wenn Sie trotz aller guten Vorsätze ab und zu mal über die Stränge schlagen. Was meinen Sie, wie köstlich die Sünde „Buttercremetorte“ ist, wenn man sie wirklich als Sünde empfindet!

Das prickelnde Gefühl der Amoralität und Sündhaftigkeit. Durch Buttercremetorte. Soso. Na, wenn’s keine schlimmeren Sünden gibt …

Aber Moment: Vielleicht geht’s ja genau darum. Wie pflegeleicht ist eine Gesellschaft, deren größte denkbare Verbotsübertretung es ist, das Falsche zu essen? Leute, deren innerer Sündendetektor schon beim Anblick einer Praline (oder, um es mal ins Heute zu übersetzen: eines Koteletts oder eines Weizenbrotes) anspringt, sind möglicherweise so sehr damit beschäftigt, beim Essen alles richtig zu machen, dass sie für anderes gar keine Zeit mehr haben.

Wer schon damit beschäftigt ist, vor bösen Kalorien (bösem Gluten, bösen Nicht-Bio-Lebensmitteln, you name it) Angst zu haben, kann sich nicht auch noch um TTIP kümmern. Oder um einen möglichen Rechtsruck der Gesellschaft. Oder um die Menschen nebenan.

Manchmal denke ich, wir (und da fasse ich mir an die eigene Nase) könnten mal damit aufhören, ums Essen herumzutanzen, als gäbe es nichts Wichtigeres. Vor allem keine wichtigeren Sünden.

Irgendwie ist das jetzt auch ein Beitrag zum gestrigen Anti-Diät-Tag. Denn wann kreist man stärker ums Essen als während einer Diät? (Ach ja, außerdem bringen Diäten nichts.)

4 Gedanken zu “Die Sünde der Braven

  1. elvira bornheim-weil

    hei guten morgen, ja ja, dieses buch hab ich auch noch irgendwo rumstehen, wie so viele andere rezeptbücher. ich hab auch die nase gestrichen voll von diesen kochsendungen, deren gerichte keiner nachkochen kann weil einem die teuren gegenstände fehlen und man sich die teuren sachen gar nicht leisten kann. wer ist den heute noch in der lage eine deftige leckere erbsen- oder linsensuppe zu kochen. wohlgemerkt keinn süppchen und ohne schnick schnack.
    einfach nur lecker. ich bin auf der suche nach den ganz alten normalen rezepten, die jeder, auch der ungeschickteste koch/in herstellen kann.
    in diesem sinne einen schönen sonnigen tag
    ach, übrigens, deine berichte und geschichten sind einfach nur toll danke weiter so.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Hallo Elvira, ja, es ist tatsächlich ziemlich viel Schnickschnack im Umlauf … Allerdings wäre uns allen wahrscheinlich auch schon herzlich langweilig, wenn nur überall die Klassiker eins ums andere Mal gekocht würden. Ich probiere auch gerne neue Zutaten aus, die ich im Asienladen oder im Supermarkt finde. Im Grunde kann ja auch jede und jeder essen, was er oder sie will – nur dass das Essen zur allerwichtigsten Sache im Leben und sogar zur Moralphilosophie erhoben wird, dass finde ich oft anstrengend. Bei einer guten, traditionellen Linsensuppe denke ich auch nicht über Sünde oder Schlankheit nach, sondern freue mich am Essen.
      Danke für Dein Bloglob! Das freut mich.

  2. Cecilia

    Das klingt ja nach einem wirklich guten Buch! Super Fund. Ich stimme vollkommen mit Deinen Gedanken überein. Ich liebe es zu essen und ich liebe es zu kochen. Dabei soll es für alles Platz haben, alles was schmeckt. Danke für den tollen Artikel.

  3. Jessy

    Hallo Sabine,

    ich bin völlig deiner Meinung. Heutzutage könnte man teilweise meinen das sich wirklich alles nur ums Essen dreht. Ja das Essen ist wichtig, ganz klar. Und ich liebe Essen auch. Aber sein ganzes Leben danach auszurichten, finde ich wirklich zu extrem!

    Viele Grüße Jessy

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