Leseempfehlung zum Anti-Diät-Tag

Heute Morgen hatte ich einen Einweisungstermin im Fitnessstudio meines Sportvereins. Die Trainerin erkundigte sich, wie es üblich ist, nach Erkrankungen und anderen Einschränkungen. Dann fragte sie, den Blick auf den Trainingsplan geheftet, mit gezücktem Kuli: „Und was ist dein Ziel?“

„Ich will wieder fitter werden. Und was für den Rücken tun – Schreibtischarbeiterin halt.“

Sie blickte auf, musterte mich. Dann fragte sie noch mal: „Ja, aber was ist dein Ziel?“

Da wurde mir klar: Sie wollte es in Kilos wissen. Und auch als ich ihr versicherte, dass es mir tatsächlich um Kondition, Muskelaufbau und Beweglichkeit ginge, nicht ums Abnehmen, kam noch die Frage hinterher, ob ich begleitend was an meiner Ernährung ändern wolle.

Sie fand mich zu dick. Und sie fand, dagegen müsse ich etwas unternehmen.

Personenwaage

Erst etliche Stunden nach diesem morgendlichen Erlebnis erfuhr ich aus dem Blog der Mädchenmannschaft, dass der 6. Mai bereits seit 1992 als Internationaler Anti-Diät-Tag (International No Diet Day) begangen wird. Mit diesem „Feiertag“ soll allerdings nicht nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass Diäten mehr schaden als nützen, weil sie den Stoffwechsel durcheinanderbringen, Jojo-Effekt zur Folge haben und in 95 % aller Fälle eben nicht zur dauerhaften Gewichtsreduzierung führen. (Nun ja, sie nützen natürlich schon, allerdings nur bestimmten Unternehmen: Mit Diäten lassen sich jede Menge Zeitschriften, Bücher, Light-Produkte und Kurse verkaufen.)

Nein, es geht bei dem Anti-Diät-Tag auch darum, gängige Schönheitsideale zu hinterfragen und zu zeigen, dass Körper (und zwar gesunde Körper!) in allen möglichen Größen und Formen vorkommen.

Statt darüber jetzt längere Predigten zu halten, nehme ich diesen Tag lieber zum Anlass, ein Buch zu empfehlen. Die Journalistin Susann Sitzler schreibt in Bauchgefühle. Mein Körper und sein wahres Gewicht* nämlich viel informierter und unterhaltsamer als ich über dieses Thema.

Buchcover Sitzler, Bauchgefühle

Da das hier ein vollkommen spontaner Blogartikel ist, gibt es leider keine ausgewachsene Rezension dazu – gelesen habe ich das Buch nämlich vor zwei Jahren schon (da hatte ich noch kein Blog), und die Details sind in meiner Erinnerung nicht mehr ganz so scharf. Was ich aber noch weiß: dass mir das Buch mehr als ein Aha-Erlebnis verschafft hat. Zum einen, weil es mit ein paar immer wieder gehörten Vorurteilen aufräumt, beispielsweise:

  • „Der BMI ist eine wissenschaftlich fundierte Kenngröße zur Bestimmung von Übergewicht.“ Nö. Willkürlich festgelegt, durch Versicherungen zur Optimierung der Prämien populär gemacht, ohne wirkliche Aussagekraft.
  • „Dicksein gefährdet die Gesundheit.“ Nö. Aber Diäten tun das.
  • „Dicke belasten das Gesundheitssystem.“ Entsprechend eben auch nicht.

Aber das hier ist kein unpersönliches Sachbuch, sondern ein Essay, in das auch eigene Erfahrungen der Autorin einfließen. Deshalb gingen meine Aha-Erlebnisse über Fakten weit hinaus. Es geht nämlich auch um den psychologischen Nutzen und die gesellschaftlichen Nachteile des Dickseins. Vor allem ist das Buch ein Plädoyer dafür, endlich anzuerkennen, dass nicht alle Körper gleich sind – denn oft ist es gerade die Ächtung des Dickseins, die Menschen richtig dick macht, unter anderem weil sie in eine Spirale aus Diäten und folgender Gewichtszunahme geraten.

Kurzum: Lesen!

Susann Sitzler
Bauchgefühle. Mein Körper und sein wahres Gewicht
Verlag C. H. Beck 2011

186 Seiten

Preis: 12,95 Euro

 

8 Gedanken zu “Leseempfehlung zum Anti-Diät-Tag

  1. Ina

    schön :-)

    Liebe Sabine,
    Dein Artikel hat mich an mein erstes Fitness-Studio-Gespräch vor sehr vielen Jahren erinnert. Auch da die Frage nach dem Ziel, blabla… und dann: „Und was sind deine Problemzonen?“ (heute schwer vorstellbar, aber damals war mir das Wort sehr fremd): „Ich habe keine Problemzonen.“
    Ich werde den Blick der Dame nie vergessen ;-)…

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Auch schön. ;-) Was mich zusätzlich so ärgert, ist, dass es ja in erster Linie der weibliche Körper ist, der als Ansammlung von „Problemzonen“ gesehen wird. Pff.

      1. BissigeWerkatze

        Besser hätte ich es auch nicht sagen können. Eine „schlanke“ Frau ist „schöner“ weil sie weniger Frau ist (ich will damit nicht sagen weniger weiblich, ich meine weil sie weniger Körper hat) 🙄
        Ich frage mich ob diese Gespräche im Fitnessstudio eine besonders effektive Methode sind, Kundinnen zu vergraulen?
        Also ich wäre sofort weg

  2. Eva

    Liebe Sabine,
    auch von mir Danke für diese Leseempfehlung!
    Das einzig Wichtige ist doch, dass man sich selbst in und mit seinem Körper wohl fühlt. Jeder hat ein Gewicht, das für einen stimmig ist, das zu einem gehört.
    Bei mir hat es auch Zeiten gegeben, in denen ich dieses Körpergefühl für mich nicht hatte, aber heute weiß ich: ‚das bin ich und nur mit diesem Gewicht fühle ich mich wirklich wohl.‘
    Liebe Grüße
    Eva

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Wenn es nur nicht so schwer wäre, zu dieser Zufriedenheit mit sich und seinem Körper zu gelangen! Schließlich kann man der Meinung, dass man sich und seinen Körper in Richtung des üblichen Ideals zu optimieren hat, ziemlich schwer entkommen und sich noch schwerer davon emanzipieren. Es macht Mut, dass es Dir gelungen ist, Eva – danke für diesen Kommentar!

  3. Susanne

    Es gibt einen Anti-Diät-Tag! Toll!
    Ich habe auch lange gebraucht, bis ich mich akzeptiert habe. Es ist doch alles eine Frage des persönlichen Wohlgefühls und der damit verbundenen Ausstrahlung. Von den Medien vermittelt wird ja aber leider etwas anderes. Manchmal denke ich, man muss ein bestimmtes Alter und eine gewisse Lebenserfahrung mitbringen, um diesen ganzen Humbug zu durchschauen und mit einem Lächeln beiseite zu schieben.
    Danke für den Buchtipp, ich werde es lesen.

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