Essen, was niedlich ist

Neulich habe ich nach langer Zeit mal wieder Kaninchen gekrault und mit Löwenzahnblättern gefüttert – ein schönes Gefühl. Als Kind hatte ich Zwergkaninchen, und ich mag das Fell, den Stallgeruch und die schnuppernden Näschen der Tiere.

Drei Tage später habe ich in einem Restaurant geschmortes Kaninchen in Estragon-Senfsauce gegessen. Mochte ich auch. Sehr sogar. Mehr als einmal habe ich mir beim Essen die kurz zuvor gestreichelten lebendigen Tiere vorgestellt und in mich hineingehorcht, ob mir das den Appetit verdirbt. Hat es nicht.

Bin ich besonders kaltherzig oder abgebrüht?

Zumindest habe ich schon öfter von (Fleischesser_innen) gehört, Kaninchen könnten sie nicht runterbringen. Dazu seien die Tiere einfach zu niedlich. Hmm. Lämmer, Kälber, Ferkel oder Rehe finde ich auch niedlich, und ich esse sie trotzdem mit Genuss – und nicht nur ich.

Schaf säugt zwei Lämmer

Dennoch verdirbt der (angenommene) Kuschelfaktor eines Tiers offenbar nicht wenigen Menschen Appetit auf das Fleisch dieses Tiers. Und manchmal führt das sogar zu Empörung, wenn jemand anders herzhaft zubeißt. Das merkte die Journalistin Meike Winnemuth auf ihrer unter großer öffentlicher Anteilnahme verbloggten Weltreise, als sie Kängurufleisch aß und darüber schrieb: Das gab böse Kommentare.

Und der britische Fernsehkoch und Foodjournalist Hugh Fearnley-Whittingstall leitet sein Eichhörnchenrezept im folgenden Video mit einer Rechtfertigung ein (und ja, da sieht er noch ganz schön jung und … haarig aus):

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Besser, so Hugh Fearnley-Whittingstall, Fleisch von Tieren, die wild gelebt und sich natürlich ernährt haben, als tierische Produkte aus tierquälerischer Massenhaltung. Klingt für mich überzeugend, aber die wilde und vollkommen ausgeuferte Diskussion in den Youtube-Kommentaren beweist, dass es hier nicht um Vernunft geht.

Was ja fürs Essen allgemein gilt.

Da spielen Gefühle eben eine Hauptrolle. Manche werden von Essenstabus ausgelöst, die tief in der Kultur verankert sind: dass bei uns kein Hund gegessen und auch Pferd von vielen abgelehnt wird. Aber Kaninchen kommt bei uns eigentlich von jeher auf den Tisch, und ich glaube, es ist eine neuere Entwicklung, dass es manchen als zu niedlich gilt. Hat auch das damit zu tun, dass wir Fleisch als Lebensmittel am liebsten abgepackt und optisch so weit wie möglich  vom toten Tier entfernt kaufen, verarbeiten, konsumieren? Bei einem geschlachteten Kaninchen sieht man noch relativ deutlich, was es mal war, während beim Burger oder Steak wenig an die Kuh mit ihren großen Kulleraugen erinnert.

Jetzt sitze ich hier und überlege, welches Fleisch ich ohne Hemmungen essen würde und welches nicht:

 

Grauhörnchen Kensington Gardens London

Eichhörnchen: Ja, kein Problem.

Känguru: Ja.

Hund? Wäre eine Mutprobe, würde ich aber wohl versuchen. Wobei ich mir einbilde, dass da weniger der Streichelfaktor eine Rolle spielt als das kulturelle Vorurteil, dass das Fleisch schlecht schmeckt.

Katze? Siehe Hund.

Meerschweinchen? Doch, ich glaube schon.

Pferd? Hmm. Jahrelang hatten wir direkt gegenüber eine Pferdemetzgerei, und ich habe dort kein einziges Mal Pferdefleisch gekauft. Ja, da habe ich Hemmungen, und ich weiß nicht, woher die kommen.

Und wie gesagt: Kaninchen esse ich gerne. Nur dass mir gerade erst klargeworden ist, dass viele aus intensiver Käfigmast stammen. Wenn ich Hemmungen habe, dann deswegen. In Zukunft also kein Kaninchen mehr im Restaurant, wenn ich nicht weiß, wie das Tier gelebt hat. Aber das ist ein anderes Thema.

Und wie ist das bei euch? Gibt es Fleisch, das ihr nicht essen mögt, weil ihr die Tiere einfach zu niedlich findet?

 

12 Gedanken zu “Essen, was niedlich ist

  1. Anne

    Oh, interessante Frage(n)! Darüber muss ich mal ein bißchen rumkauen (höhö) die nächsten Tage. Dieses Niedlichkeitsargument find ich bei Fleischessern ganz furchtbar heuchlerisch. Ich bin selbst Fleischesser aus Faulheit, finde aber Veganismus von der Logik am konsequentesten. Bei Wildtieren (also den gängigen: Rot- und Schwarzwild, Wildkaninchen usw) habe ich keine Skrupel, rote Eichhörchen find ich aber selbst zu süß zum Essen. Graue nicht. Die verdrängen ja die Roten. Jaja, meine eigene Inkonsequenz.^^ Die Diskussion erinnert an die PETA- Poster: Welpe neben Ferkel, darunter „which do you pet, which do you eat – why?“ oder so ähnlich. Ja, ich finde, wer Schwein isst, „muss“ auch Hund essen. Ich würds machen. ABer am liebsten nichts davon.

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Wow, danke für den ausführlichen Kommentar! Ja, ich glaube, Inkonsequenz ist ein gutes Stichwort. Aber das gilt beim Essen ja für vieles. Sind eben zu viele Gefühle mit im Spiel.

  2. Xsanni

    Also bis auf Hund und Katze…. allem anderen gegenüber bin ich aber aufgeschlossen und würde zumindest probieren. Pferd gab es als ich klein war mal bei meiner Oma zu Weihnachten als Sauerbraten. Weiss noch, dass es wahnsinnig lecker war! Habe dann aber davon Abstand genommen , weil ich angefangen habe zu reiten und immer dachte es könnte ja ein Stück dazwischen sein das ich mal kannte. Ausserdem esse ich alle Arten von Wild gerne. Schön und am besten ist es natürlich wenn sämtliche Tiere zuvor ein angenehmes Leben hatten, das ist ja wohl klar! Mit einem befreundeten Metzger der im Herbst immer Hausschlachtungen durchführt, möchte ich auch unbedingt mal mitfahren und helfen eine (glückliche) Kuh zu schlachten. Finde es gut diesen Prozess mal mit zu machen und mit anzupacken und hoffe, dass es dieses Jahr klappt.

    LG Susanne

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Beeindruckend, dass Du Dir die Assistenz bei der Schlachtung zutraust! Da nehmen bei mir die Hemmungen, wie ich zugeben muss, mit der Größe des Tiers zu. Bei einem Huhn könnte ich wohl zugucken, bei einer Kuh … weiß nicht. Auch wenn das albern ist.

  3. Susanne

    Ich bin da ähnlich „hartherzig“ wie Du. Der Kuschelfaktor hält mich nicht vom Kaninchen ab, wohl auch nicht vom Meerschweinchen. Ich sage mal ganz mutig, den Rest würde ich wohl auch probieren. Letztendlich ist das ja nicht hartherzig, sondern im Grunde eine Frage der kulturellen Prägung. Was man in Indien wohl über unseren massenhaften Verzehr von Rindfleisch denkt? Dennoch kenne ich genügend Menschen, die zwar mit Wonne Fleisch essen, aber nur, wenn es nicht mehr nach Tier ausieht. Das wiederrum finde ich seltsam….
    Es ist doch so…..wer Tiere ist, nimmt Leben (oder läßt es nehmen…) vielleicht gelingt ja Verdrängung, wenn man die besonders niedlichen verschont….

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Ja, sehr viel hängt sicher mit der kulturellen Prägung zusammen. Aber auch ich habe das Gefühl, dass viele am liebsten glauben würden, das Stück Fleisch wüchse auf einem Baum. Besonders krass ist das wohl in den USA: Jedenfalls erinnere ich mich, dass eine Kochbuchlizenz quasi unmöglich dorthin zu verkaufen war, wenn irgendwo ein ganzer (gegarter) Fisch abgebildet war …

  4. Esther

    Also, ich hatte elf Jahre lang ein Kaninchen als Haustier und esse trotzdem Kaninchenfleisch. Generell würde ich, wenn es mir schmeckt, alles essen oder probieren. Den „Niedlichkeitsfaktor“ halte ich für ein bisschen heuchlerisch, genauso wie „Vegetarier“, die noch Fisch essen. Mich schreckt eher so manche Zubereitungsart ab, z.B. dieses Jahr in Vietnam, wo ich auch Frosch und Ratte probiert habe, aber Schlange konnte ich nicht essen, die wurden lebendig auf den Grill gelegt – das ist für mich Tierquälerei und nicht tolerierbar.

  5. Peter Andersen

    Während meines Zivildienstes war ich für Hausmeisterarbeiten einer Bildungseinrichtung verantwortlich – also auch für den Garten.
    Den hog und pflog ich nun mit all meinem jugendlichen Enthusiasmus. Aber da waren Kaninchen, die meine frisch gesetzten Primeln mit äußerstem Genuss und offenem Mangel an schlechten Gewissen verzehrten. Das ging so weit, daß, wenn ich mit dem Aufsitzmäher daher gefahren kam, sie nur schlecht gelaunt zwei Schritte beiseite gingen.
    Es musste Abhilfe her und die kam mit einem Jäger und seinem Frettchen. Im Nu waren die Kaninchenbauten geräumt und es zappelten 20 niedliche Kaninchen in den Netzen.
    Die Frage, was mit jenen zu geschehen hatte war für mich, der in der Landwirtschaft groß geworden war, klar:
    Ein kräftiger Schlag aufs Genick, ein Schnitt ins Rückenfell und kräftig gezogen, am Schloss die Innerein ausgenommen, den Rest gewaschen und eingefroren.
    Die Blicke und das Schweigen des dortigen Küchenpersonals waren tödlich. So viel Verachtung hatte ich bis dahin selten verspürt.
    Dabei gehörte die Portion Schwein oder Rind zum täglichen Speiseplan.
    Bis heute habe ich für diese Haltung nicht das geringste Verständnis.

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