Äpfel mit Bedeutung

Eigentlich hatte ich eine ganz andere Datei auf meiner Festplatte gesucht. Aber dann kam mir plötzlich wieder das kleine Video unter, das ich letztes Jahr für Francesca Zampollo gedreht habe (bzw. habe drehen lassen – Kameramann war M., der geduldig fünfzehn Versuche durchgehalten hat. Ich wollte ja unbedingt eine einzige Einstellung ohne Schnitt …). Francesca beschäftigt sich als Food-Designerin unter allen möglichen Aspekten mit Essen. Letztes Jahr hatte sie weltweit dazu aufgerufen, ihr kurze Videos zu senden. Thema: „Meaningful Food“ – welche Bedeutung hat welches Essen für unterschiedliche Leute aus unterschiedlichen Kulturen?

Eigentlich wollte ich Francesca, ihr Projekt und überhaupt ihre Arbeit hier schon längst ausführlich vorgestellt haben, aber ihr merkt ja, was dieses Jahr aus all meinen hochfliegenden Blogplänen geworden ist … Wenig.

Und weil das so schnell nicht besser wird, zeige ich euch jetzt wenigstens dieses Video. Das für mich am stärksten mit Bedeutung aufgeladene Essen ist nämlich der Apfel. Warum, das erzähle ich hier (Transkription siehe darunter):

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Francesca Zampollo zeigt übrigens in loser Folge einige der ihr für das Projekt eingesandten Videos auf der zugehörigen Website „In Search of Meaningful Food“.

Welches Essen hat für euch die größte Bedeutung?

*** Transkription des Textes ***

Hi. My name is Sabine, and I’m from Hamburg in Germany. My most meaningful food is apples. This might seem a little obvious, because apples must be one of the most symbolic of all foods anyway. You know: Eve giving the apple to Adam, Paris giving the apple to Aphrodite … But on the other hand, apples are just a very common fruit. When I see one, I don’t think of myths or a particular symbolism. Seeing an apple, I might think of “an apple a day keeps the doctor away” or I might wonder whether I’ve eaten enough fruit that day. Mostly, I just think “I probably should …” and then eat the chocolate instead.

But there are a few personal and meaningful apple stories I’d like to share with you.

When I was born, my parents sent a card to friends and family that had an apple on it. When my next sister was born, her card had two apples. And so on: three apples for the third child, four apples for the fourth child. I still like the image of children being apples on a parent tree. There is even a German saying: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, that is An apple doesn’t drop far from the trunk. Meaning: children usually resemble their parents – in one or more ways.

We actually had an apple tree in our garden. My mother had chosen the variety because she remembered it from her childhood: it was a Goldparmäne. For me as a child this was the perfect apple. But then I left home, our house was sold, the apple tree cut down, and for the next twenty years I didn’t taste a Goldparmäne apple again. (You don’t find this variety in supermarkets, because it’s an old one which can’t be grown in industrial scale. – N. B. I forgot to say this sentence in the video.) But this autumn I found Goldparmäne apples on our farmer’s market. So this is the apple of my childhood: yellow and red just like the apples in children’s books. I love the smell, I love the taste. This particular apple means home to me.

Äpfel Goldparmäne

And then there is another memory of apples that maybe means just the opposite. When I started university I moved into a student hall of residence, my first home away from home. On the day I got the keys for my room I also bought some food: a loaf of bread, a bottle of milk (which came in an actual glass bottle at the time) and three apples. They were Cox’s Orange Pippins or Cox Orange as we say in German. I still remember those three Coxes sitting on the window sill in my fairly empty room, telling me: This is your home now, and you’ve got all you need, a roof above your head and something to eat. Those apples meant freedom for me.

Home, freedom, having the basic necessities: that’s apples for me. And that’s why they are my most meaningful food.

*** Übersetzung ***

Hi, ich heiße Sabine und komme aus Hamburg (Deutschland). Das Essen, das für mich die größte Bedeutung besitzt, sind Äpfel. Mag sein, dass das ein bisschen zu naheliegend wirkt – schließlich gehören Äpfel ohnehin zu den Lebensmitteln, die am stärksten mit symbolischer Bedeutung aufgeladen sind. Ihr wisst schon: Eva, die Adam den Apfel reicht; Paris, der Aphrodite den Apfel gibt … Auf der anderen Seite sind Äpfel einfach ein ganz gewöhnliches Lebensmittel. Wenn ich also einen Apfel sehe, dann denke ich eher nicht an Mythen oder Symbole, sondern vielleicht „An apple a day keeps the doctor away“. Oder ich überlege kurz, ob ich heute schon genügend Obst gegessen habe. Aber dann denke ich meistens: „Eigentlich sollte ich …“ und greife trotzdem zur Schokolade.

Aber Äpfel sind für mich auch mit ein paar persönlichen Geschichten verknüpft, die ich euch gerne erzählen möchte.

Zu meiner Geburt verschickten meine Eltern eine Karte an Familie und Freunde, auf der ein Äpfelchen abgebildet war. Als meine jüngere Schwester geboren wurde, prangten auf ihrer Geburtsanzeigekarte zwei Äpfel. Und so weiter, und so fort: beim dritten Kind drei Äpfel, beim vierten vier. Mir gefällt der Gedanke, dass Kinder so etwas sind wie Äpfel in einem Elternbaum. Im Deutschen gibt es sogar ein Sprichwort: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, mit dem man ausdrückt, wie sehr Kinder ihren Eltern ähneln.

Wir hatten tatsächlich einen Apfelbaum im Garten. Die Sorte hatte meine Mutter gewählt, weil sie sich aus ihrer Kindheit daran erinnerte: Es war eine Goldparmäne. Als Kind waren die Früchte für mich der Inbegriff von Apfel – einfach perfekt. Aber dann ging ich von zu Hause weg, das Haus wurde verkauft und der Baum wenig später abgeholzt. Zwanzig Jahre lang aß ich keine Goldparmäne. (Es gibt diese alte Sorte nicht im Supermarkt zu kaufen, weil sie sich nicht zum Anbau im industriellen Maßstab eignet. – Diesen Satz habe ich im Video leider vergessen.) Aber diesen Herbst habe ich auf dem Markt Goldparmäne-Äpfel gefunden. Und das hier ist der Apfel meiner Kindheit: gelb-rot wie aus dem Bilderbuch. Ich liebe den Geruch und Geschmack dieser Sorte. Dieser Apfel bedeutet für mich Heimat.

Marktstand alte Apfelsorten

Aber es gibt noch eine andere Apfelerinnerung, die möglicherweise genau das Gegenteil bedeutet. Als ich anfing zu studieren, zog ich in ein Studentenwohnheim: nach dem Elternhaus mein erstes Zuhause. An dem Tag, als ich die Schlüssel für mein Zimmer bekam, kaufte ich erst einmal etwas zu essen ein: einen Laib Brot, eine Flasche Milch (ja, damals noch in einer Glasflasche!) und drei Äpfel. Es waren Cox Orange, und ich erinnere mich noch daran, wie sie dort, in meinem noch ziemlich leeren Zimmer, auf der Fensterbank lagen. Der Anblick drückte für mich aus, dass ich in diesem Zimmer jetzt zu Hause war, und dass ich hatte, was ich brauchte: ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Diese Äpfel gaben mir ein Gefühl der Freiheit.

Heimat, Freiheit und das Lebensnotwendige zu besitzen: All das drücken Äpfel für mich aus. Und deshalb sind sie das Essen, das für mich die größte Bedeutung hat.

 

5 Gedanken zu “Äpfel mit Bedeutung

    1. Sabine Schlimm Artikel Autor

      Danke, Barbara! Ich schreibe auch lieber, als mich vor eine Kamera zu setzen. Merkt man, glaub ich. Insofern: Hier wird’s auch weiter Texte und nur in ganz seltenen und begründeten Ausnahmefällen Videos geben. ;-)

  1. Sünje

    Oh, die hatten da auch Ingrid Marie! Das wären meine gewesen … Im Garten meiner Eltern stand ein Baum mit Ingrid Marie, an den ich mich gern erinnere, aber den gibt es auch nicht mehr. Gelegentlich findet man mal welche auf dem Markt.

  2. Sabine

    Liebe Sabine,

    hätte ich das gewusst, wir hatten in HH eigene Äpfel mit und ich hätte Dir natürlich einen mitgebracht. Wie dem auch sei, beim nächsten Mal bestimmt, leider haben wir keine Goldparmäne, aber drei andere schöne Sorten!

    Schön, wieder von Dir zu lesen bzw. zu hören!
    Liebe Grüße (leider wieder aus KR)
    Sabine

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert